Der sächsischen Landtag hat am 20. Mai über einen Entschließungsantrag von B90/Grüne zu Freier Software abgestimmt. Der Entschließungsantrag wurde gestellt, nachdem die Staatsregierung die große Anfrage der Grünen mit 56 Fragen zu Freier Software beantwortet hatte. Ziele des Entschließungsantrags waren die Entwicklung einer Freien Software IT-Strategie für die sächsischen Staatsverwaltung; die Umstellung der Server auf Freie Software; die Reduzierung der Herstellerabhängigkeit und die Förderung Freier Software an Schulen. CDU und FDP argumentierten gegen den Antrag und das Landesparlament lehnte ihn ab. Es ist normal, dass Anträge der Opposition abgelehnt werden. Dennoch sind die Argumente der Debatte interessant.
Im folgenden gehe ich auf die Gegenargumente der Staatsregierung ein. Sie bringt wiederholt "strategische Überlegungen" gegen Freie Software vor, nennt aber keinen einzigen dieser strategischen Gründe. Die sächsische CDU und FDP wollen Freie Software nicht fördern, weil sie nicht in den Markt eingreifen wollen. Jedoch bildet Sachsen seine Schüler mit Software des Monopolisten Microsoft aus und bewirbt auf den Regierungs-Webseiten die Firma Adobe. Die Staatsregierung schreibt keine Freie Software aus, beschwert sich aber, dass es zu wenig Freie-Software-Dienstleister und Fachanwendungen gibt. Weiterhin argumentieren sie mit dem Begriff "Marktstandards" gegen Freie Software.
Strategische Gründe FDP und CDU bringen wiederholt das Gegenargument, dass strategische Gründe beim beschaffen von Software berücksichtigt werden muss. Dabei kann sich die Staatsregierung nicht entscheiden, ob Freie Software eine strategische Bedeutung hat (das kritisierte auch Julia Bonk von der Fraktion "Die Linke" in der Debatte). Manchmal ist Freie Software ein strategisches Handlungsfeld und manchmal nicht:
Die Vorteile einer FLOSS-Migration sind also in erster Linie strategischer Natur, insbesondere durch die zu gewinnende Herstellerunabhängigkeit durch Abstellung auf offene Standards, die Entflechtung der IT-Systeme und der Lichtung des Makro-/Vorlagen/Formulare-"Dschungels" im Office-Bereich. (Antwort Frage 36)
Aus heutiger Sicht sind deshalb grundsätzlich Vorteile wie Herstellerunabhängigkeit beim verstärkten Einsatz von FLOSS vorhanden, diese müssen jedoch immer im Lichte der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung eingeordnet und strategisch bewertet werden. (Antwort Frage 45)
Dr. Karl-Heinz Gerstenberg (Grüne) hatte in der Landtagsdebatte noch einmal deutlich die strategischen Aspekte genannt:
"Vor allem aber liegt die Kontrolle der IT-Infrastruktur nicht mehr in den Händen weniger Hersteller; Einfluss und Macht über Arbeitsabläufe, sensible Kommunikation und Daten werden nicht länger an externe Akteure abgegeben. Durch den Einsatz Freier Software verhindern staatliche Stellen ihre Abhängigkeit von solchen Akteuren und gewinnen an Souveränität und Transparenz. Für eine Gesellschaft, die in starkem Maße auf digitale Kommunikationstechnologie angewiesen ist, gewinnt diese Freiheit der Kommunikationsmittel zunehmend an Bedeutung."
Freie Software beschreibt, was wir mit der Software machen dürfen. Laut Dr. Jürgen Martens (FDP) ist der Einsatz einer "bestimmten Software" nur ein Teilaspekt und muss strategische Überlegungen untergeordnet werden. Offensichtlich sieht die Staatsregierung Freie Software als ein Produkt an, wie ein Auto, Motorrad oder Fernseher. Die Entscheidung zwischen Freier Software und unfreier Software ist aber gerade nicht die zwischen zwei Produkten wie Audi oder BMW, sondern die Entscheidung, was ich mit dem Auto machen darf. In den Software-Lizenzen steht, was wir als Anwender mit der Software machen dürfen und was uns verboten wird. Bei Freier Software wird uns erlaubt, dass wir die Software für jeden Zweck verwenden, ihre Funktionsweise verstehen, sie weiter verbreiten und verbessern dürfen. Bei der Anschaffung von Autos wären dies Fragen wie: Dürfen wir die Motorhaube öffnen? Dürfen wir das Auto nur geschäftlich oder auch privat nutzen? Dürfen wir damit nur in Sachsen fahren oder auch in anderen Bundesländern. Dürfen wir es behindertengerecht umbauen? Und dürfen wir einen "Polizei"-Schriftzug und Blaulicht anbringen? Oder ist dies vertraglich verboten?. Wie ein italienisches Gericht bereits argumentiert hat, ist Freie Software kein bestimmtes Produkt, sondern eine rechtliche Eigenschaft.
Was also sind "gesamtwirtschaftliche und strategische Gründe" gegen die Vorschläge der Grünen, eine Übersicht der verwendeten Softwarelizenzen zu erstellen, neue Software als Freie Software zu beschaffen oder eine Migrationsstudie zu erstellen? Operative Gründe können sein, dass es noch keine Freie-Software-Lösung für das Problem gibt oder Mitarbeiter umgeschult werden müssen, was die Freie-Software-Lösung am Anfang teurer macht. Aber die Staatsregierung hat keine strategischen Gründe gegen Freie Software genannt.
Eingriff in den Markt Ein anderes Gegenargument von FDP und CDU ist, dass die Bevorzugung von Freier Software ein Eingriff in den Markt darstellt. Und natürlich würde eine Regierung mit Freien-Software-Ausschreibungen in die Wirtschaft eingreifen. Die öffentliche Verwaltung kann, wie alle Großkunden, den Markt mit ihrer Nachfrage beeinflussen. In anderen Bereichen wie z.B. Telekommunikation, Verkehr und Energie reguliert die Regierung auch die Wirtschaft, was vollkommen legitim ist. Was spricht dagegen, wenn die Regierung bei der Beschaffung bestimmte rechtliche Eigenschaften ausschreibt, um ihre strategischen Ziele besser zu erreichen? Greift dies stärker in den Markt ein, wie wenn unsere Schüler mit Software des Monopolisten Microsoft ausgebildet werden oder sächsische Ministerien auf ihren Webseiten Werbung für Adobe machen?
Angebot und Nachfrage Die FDP Fraktion und die Staatsregierung bemängeln, dass es immer mehr Fachanwendungen gibt, die Zahl der Freien-Software-Fachanwendungen und Dienstleister jedoch gleich bleibt. Zurecht erwidert Gerstenberg (Grüne) in seiner Rede, dass sich das ändern lässt, indem man auf Freie Software umstellt. Weiter sagt er: "Eine Migration zu Freier Software wird von der Staatsregierung offensichtlich nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Die teils widersprüchliche Argumentation deutet darauf hin, dass eine Migration zu Freier Software keineswegs nicht machbar ist, sondern entweder gescheut wird oder schlicht nicht gewollt ist."
Wenn die Staatsregierung keine Freie Software fordert, dann bekommt sie auch keine. Was spricht dagegen, neue Fachanwendungen als Freie Software zu entwickeln, selbst wenn sie für Microsoft Windows geschrieben werden? Das würde auch die Anzahl der Freien-Software-Dienstleister steigern. Was wiederum, wie Grüne und Linke richtig festgestellt haben, den Mittelstand und den Wissensaufbau im Bundesland fördern würde.
Marktstandards Im Gesetzt zur Errichtung des IT-Planungsrats steht, dass vorrangig "Marktstandards" eingesetzt werden sollen. Wie in meinem Artikel zum IT-Planungsrat befürchtet, wirkt sich dies negativ für Freie Software aus. Hier Staatsminister Martens (FDP), wie er dies als Argument gegen Freie Software verwendet:
"Bei der Bund-Länder-Koordinierung für die IT-Entwicklung sollen gerade auch Marktstandards berücksichtigt werden. Das spricht nicht gegen, sondern gerade für einen Einsatz auch von Produkten etablierter Anbieter. Nämlich dem Nachkommen nach so gegannten de-facto Standards in der Verwaltung."(Video 46:50)
Was machen? In der Debatte haben unsere Politiker immer noch viele Aspekte Freier Software missverstanden. Wenn die Staatsregierung Freie Software erst einmal verstanden hat, wird sie langfristig auch migrieren. Das so eine Debatte aber überhaupt im Landtag geführt wird ist gut. Um die Missverständnisse zu beseitigen, müssen wir mit den Politikern kontinuierlich über Freie Software sprechen. Wie es in Sachsen weitergeht, hängt mit von euch ab. Hier ein paar Anregungen, was ihr tun könnt um mitzuhelfen:
- Wenn ihr aus Sachsen seit: Schickt euren Abgeordneten eine Rückmeldung zu der Diskussion. Schreibt ihnen, was ihr gut fandet und fragt nach, wenn ihr ihre Position nicht verstanden habt. - Fragt eure Abgeordneten von CDU und FDP was strategische Gründe gegen Freie Software sind. In anderen Bundesländern könnt ihr die Fraktionen fragen, ob sie die gleiche Meinung wie die Fraktion in Sachsen haben. - Fragt sie wie sie das Problem von Software-Monopolen lösen wollen.Tipps und Beispiele dazu, wie ihr Abgeordnete zu Freier Software ansprechen könnt, findet ihr auf den Seiten der FSFE-Bundestagswahlkampagne 2009.